Ab sofort Masken: wenn plötzlich die Produktion umgestellt wird – was ist mit dem Versicherungsschutz?

Brauereien wollen auf Desinfektionsmittel umsatteln, US-Präsident Trump weist einen Automobilhersteller an, Beatmungsgeräte herzustellen und Textilunternehmen produzieren statt Sommerkleider nun Atemschutzmasken. Was aber bedeuten solche Produktionsumstellungen für den Versicherungsschutz in der Haftpflichtversicherung?

Beispiel Atemschutzmasken:

Der Begriff der Atemschutzmaske lässt sich in drei Kategorien einteilen. Community-Masken entfalten nur einen sehr geringen Fremdschutz, ihre Produktion unterliegt keinen besonderen Anforderungen oder Reglementierungen. Die bekannten Operationsmasken hingegen fallen unter Mund-Nasen-Schutz. Sie sollen das Gegenüber des Trägers vor infektiösen Tröpfchen schützen. Der entscheidende Unterschied zu den Community-Masken: OP-Masken unterliegen als Medizinprodukt der Risikoklasse I dem europäischen Recht über die CE-Kennzeichnung. Dafür muss der Hersteller ein Konformitätsbewertungsverfahren durchlaufen und damit unter anderem nachweisen, dass alle Sicherheits- und Leistungsanforderungen eingehalten werden.

Filtrierende Halbmasken (FFP-Masken) entstammen dem Bereich des Arbeitsschutzes und sollen in erster Linie den Träger einer solchen Maske vor Partikeln, Tröpfchen und Aerosolen schützen. FFP Masken sind damit keine Medizinprodukte,  unterliegen aber als „persönliche Schutzausrüstung (PSA)“ ebenfalls der CE-Kennzeichnungspflicht. Für den Hersteller wie auch für den EU-Importeur gilt in Deutschland das Produktsicherheitsgesetz (ProdSG). Hält eine vom Versicherungsnehmer hergestellte oder importierte FFP-Schutzmaske seine Filterleistung nicht ein, ist er Adressat behördlich angeordneter Gefahrabwendungsmaßnahmen – bis hin zum Rückruf.

Zur Verdeutlichung: Allein in Kalenderwoche 17 warnt die in Deutschland zuständige Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) zu 5 Anlässen vor aus China importierten FFP2-Masken, die keine ausreichende Filterleistung gewährleisten konnten.

Zudem ergibt sich aus der Herstellung von Verbraucher-Produkten für ein Unternehmen oft eine Haftung, welche dieses sonst nicht hat, da es ausschließlich Produkte für Unternehmen herstellt. Diese zusätzliche und meiste strengere Haftung, ergibt sich zum Beispiel aus dem Produkthaftungsgesetz.

Beispiel Desinfektionsmittel:

Händedesinfektionsmittel auf Alkoholbasis sind in Deutschland als Biozide klassifiziert und dürfen seit der strengen europäischen Biozid-Verordnung von 2012 (528/2012) ohne Zulassung noch nicht einmal von Apotheken auf Basis lange bekannter Rezepturen gemischt werden.

Seit Anfang März gibt es hiervon Ausnahmen: Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit hat die Vorschriften – zeitlich begrenzt – gelockert. Apotheken, Pharma- und Chemieunternehmen sowie juristische Personen des öffentlichen Rechts (z.B. Städten und Kommunen) können Desinfektionsmittel auf 1/2-Propanol- oder Ethanol-Basis selbst herstellen. Das gilt aber nicht für Brauereien, Schnapsbrennereien oder gar Zuckerfabriken. Sie dürfen aber Gemeinden, Apotheken etc. als Zulieferer hochreinen Alkohols unterstützen.

Beispiel Komponenten-Zulieferung für Medizinprodukte:

Nicht nur seitens der Automobilhersteller wird aktuell darüber nachgedacht, die Medizinprodukteindustrie (z.B. Hersteller von Beatmungsgeräten) mit der Belieferung von Erzeugnissen zu unterstützen. Dabei geht es zum Beispiel um Kunststoffteile, die mittels bereits vorhandener, industrieller 3D-Drucker hergestellt werden können.

Für Teile-Zulieferer von Medizinprodukten gibt es in der Regel keine regulatorischen Normen. Der eigentliche Medizinprodukt-Hersteller ist aber auch für die Sicherheit von Komponenten und Bauteilen seiner Zulieferer verantwortlich. Darum verlangen viele der Produzenten von ihren Lieferanten ein zertifiziertes Qualitätsmanagement-System.

Da eine Produktionsumstellung in diesem spezialisierten Zulieferer-Bereich durchaus anspruchsvoll ist, gibt es mehrere Online-Matching-Plattformen, die Angebot und Nachfrage bei medizintechnischen Komponenten zusammenbringen (Beispiel: https://www.spectaris.de/verband/coronavirus/matchmaking/ – Abruf vom 26.04.2020).

Versicherungsschutz in der Haftpflichtversicherung

Der Versicherungsschutz in der Haftpflichtversicherung kann auf unterschiedliche Weise tangiert werden.

  • Betriebsbeschreibung und Vorsorgeversicherung
    Grundsätzlich umfasst der Versicherungsschutz in der Haftpflichtversicherung nur diejenigen Eigenschaften, Rechtsverhältnisse und Tätigkeiten, die in der Betriebsbeschreibung dokumentiert sind. Neue Risiken müssen daher regelmäßig ermittelt und im Vertrag ergänzt werden, sonst besteht hierfür kein Versicherungsschutz.Aber: Für begrenzte Zeit bietet die in Haftpflichtverträgen enthaltene Vorsorgeversicherung einen Versicherungsschutz für neue Risiken. Der ist oft jedoch nicht nur zeitlich, sondern auch inhaltlich eingegrenzt – zum Beispiel durch Ausschlüsse in den Vorsorgedeckungen für chemische Risiken oder auch für Medizinprodukte.
  • Allgemeine und besondere Risikoausschlüsse
    Üblicherweise begrenzen Versicherer das übernommene Haftpflichtrisiko mit Risikoausschlüssen, etwa solche, die Arzneimittel nach dem Arzneimittelgesetz (AMG) oder Medizinprodukte nach dem Medizinproduktegesetz (MPG) ausschließen. Je nach konkreter Ausgestaltung des Risikoausschlusses werden dabei aber Medizinprodukte der Risikoklasse I rückausgenommen und blieben damit versichert.Zum Ausschluss kann auch führen, wenn Schäden durch bewusstes Abweichen von gesetzlichen Vorschriften herbeigeführt wurden. Wie gezeigt wurde, eröffnet sich für den in diesem Gebiet unerfahrenen Hersteller/Inverkehrbringer ein weites Feld regulatorischer Produktanforderungen, die plötzlich beachtet werden müssen. Während ein fahrlässiges Abweichen von gesetzlichen Vorschriften noch mit Haftpflichtversicherungsschutz begleitet wird, entfällt der Versicherungsschutz insgesamt bei bewusstem Abweichen.
  • Erprobungsrisiken
    Die so genannte erweiterte Produkthaftpflichtversicherung enthält einen Risikoausschluss, der unter dem Begriff „Erprobungsklausel“ bekannt ist. Dieser Risikoausschluss soll den Versicherungsschutz für ausgelieferte Erzeugnisse begrenzen, deren Verwendung oder Wirkung im Hinblick auf den konkreten Verwendungszweck nicht nach dem Stand der Technik oder in sonstiger Weise ausreichend erprobt waren.Erfreulicherweise gilt der Erprobungsausschluss nicht für Personenschäden: Das konstruktionsbedingte Versagen der Schutzfunktion bspw. einer FFP3-Maske mit der Folge der Infektion des Trägers bleibt also vom Versicherungsschutz umfasst.Der Risikoausschluss greift in Fallkonstellationen, wenn etwa mangelhafte Teile an Beatmungsgerät-Hersteller geliefert werden und auf Grund der Mangelhaftigkeit des Endproduktes (Beatmungsgerät) Vermögensschäden durch einen erforderlichen Austausch entstehen.
  • Notwendige Erweiterungen des Versicherungsschutzes
    In der Haftpflichtversicherung sind Schadenersatzansprüche Dritter versichert – unabhängig davon, auf welcher Basis diese Inanspruchnahme erfolgt (§ 823 BGB oder § 1 Produkthaftungsgesetz). Einige Deckungserweiterungen müssen jedoch aktiv vereinbart werden. So ist für die Absicherung von Rückrufen beispielsweise der Abschluss einer Produkt-Rückrufkostenversicherung empfehlenswert. Darüber hinaus ist zum Beispiel zu prüfen, ob die vereinbarte Versicherungssumme bei einer geänderten Tätigkeit noch adäquat ist.

Was jetzt beachtet werden sollte

Die Product-Compliance muss gegeben sein – deshalb sollten sich die Betroffenen intensiv mit den rechtlichen Anforderungen an das künftige Produkt vertraut machen.

Die Klassifizierung Ihrer Erzeugnisse nimmt Ihnen keiner ab. Managen Sie daher Erwartungen durch klare Kommunikation, was von Ihren Erzeugnissen erwartet werden kann und was nicht. Das kann zum Beispiel ein Hinweis sein, dass Community-Masken keine Medizinprodukte und keine persönliche Schutzausrüstung sind. Oft ist es nicht das Erzeugnis selbst, sondern der Zweck, für den es verkauft wird, der Auslöser für die Anwendbarkeit strenger Produktnormen ist.

Selbstverständlich kann SÜDVERS durch die Vermittlung kompetenter Partner hier umfassende Unterstützung leisten. Ändert sich das Produktportfolio, ist es Zeit für eine Kontaktaufnahme mit uns. Dann kann gemeinsam mit dem Versicherer geprüft werden, ob eine Erweiterung des Haftpflichtvertrages notwendig bzw. empfehlenswert ist.